Das Sammeln kölscher Lieder
Das Sammeln kölscher Lieder - Interview Dr. Bhatt
Das Interview mit Reinold Louis führte Dr.Christa Bhatt am 18.04.2011. Es wurde in "klaaf", der hervoragenden Zeitschrift der "Akademie för uns kölsche Sproch", geringfügig gekürzt, veröffentlicht. Die komplette Fassung ist hier nachzulesen.
Dr. Christa Bhatt
Herr Louis, ich hätte zunächst gern ein paar kurze Angaben zu Ihrem Lebenslauf. Sie sind ne echte kölsche Jung, nicht wahr? Wann sind Sie denn geboren und wo sind Sie aufgewachsen?
Reinold Louis
Ich bin am 6. Mai 1940 geboren, bin also letztes Jahr 70 geworden. Ich bin "ne ech kölsche Jung" aus der Südstadt, geboren und aufgewachsen in der Elsaßstraße. Ich habe noch viele bereits verstorbene große Kölner gekannt, de vier Rabaue, Jupp Schmitz, Karl Berbuer, Willy Schneider, Willy Millowitsch und natürlich de Vier Botze ...
Kölscher geht es ja kaum. Erzählen Sie doch etwas über Ihren beruflicher Werdegang?
Ich begann 1957 meine Lehre bei der Kreissparkasse Köln und habe dort über 40 Jahre lang als Sparkassen-Betriebswirt gearbeitet, bis zu meinem Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand 1998.
Und ein Teil Ihrer Arbeit waren die Kulturstiftungen?
In meinen letzten 15 Berufsjahren war ich Geschäftsführer der 1983 gegründeten Kultur-, Sport- und Sozialstiftungen der Kreissparkasse Köln, also vom Gründungsdatum an drei Wahlperioden. Alle fünf Jahre wurde ich von den zuständigen Stiftungsgremien gewählt – immer einstimmig! Als Bereichsdirektor war ich in der Sparkassen-Hierarchie angesiedelt.
Gehörte auch die umfangreiche Sammlung kölnischen Liedergutes dazu?
Nein, das war mein Privatvergnügen. Das Sammeln von kölschen Liedern und die Recherchen dazu lief neben meiner eigentlichen Arbeit, wurde aber von meinem Vorstandsvorsitzenden Dr. Hans-Joachim Möhle und seinem Nachfolger Hans-Peter Krämer immer sehr unterstützt. Ich habe mich für kölsches Brauchtum und Liedgut schon immer interessiert.
Sie haben die ganze Reihe "Kölsche Evergreens" für die Kreissparkasse Köln veröffentlicht, von der ersten 1973 bis zur 36. letztes Jahr. Wie konnten Sie das denn finanzieren?
Die Kreissparkasse hat vor 25 Jahren mein immer größer gewordenes Archiv übernommen, aber ich verwalte es weiterhin und habe, wo immer es sich später einmal befindet, lebenslang Zugang dazu. Die Reihe "Kölsche Evergreens" produziere ich alljährlich im Auftrag und für Rechnung der Kreissparkasse Köln.
In der Reihe haben Sie ja meistens Schwerpunkte gesetzt. Welche waren das?
Ja, einige waren Themen zugeordnet, bei anderen standen Personen im Vordergrund. Allein drei Ausgaben waren zu Willi Ostermann, eine davon als Video-Kassette, dann Jupp Schmitz, Karl Berbuer, Günter Eilemann, Ludwig Sebus, Henner Berzau und Uschi Werner-Fluss, Hans Knipp, natürlich Bläck Fööss und Höhner und thematisch über „Kölner Originale", das „Divertissement-chen“ des KMGV, dem Deutz-Chor, der Jungen Philharmonie und der Jungen Sinfonie und und und ...
Und werden Sie die Reihe auch weiter machen oder gibt es dafür einen Nachfolger bei der Kreissparkasse?
Die Folge 37 ist schon in Arbeit und wird im November herauskommen. Ich würde gerne die 40 voll machen, also nach der jetzt 37 noch drei weitere CDs produzieren. Natürlich ist Voraussetzung, dass meine Gesundheit mitspielt und die Kreissparkasse Köln einverstanden ist. Aus meiner bisherigen Zusammenarbeit kann ich berichten, dass der Vorstandsvorsitzende Alexander Wüerst dem Projekt „Kölsche Evergreens“ nicht nur sehr positiv gegenübersteht, sondern sich auch in Gesprächen mit mir über Inhalte abstimmt.
Wo wir beim Thema kölsche Musik sind, möchte ich Sie gern nach Ihrer Meinung zu der kölschen Liedersammlung fragen, die die Akademie för uns kölsche Sproch im Februar 2011 ins Netz gestellt hat. Darin sind allerdings keine Lieder enthalten, die man sich anhören kann, sondern es ist eine Sammlung von kölschen Liedtexten mit Urheberangaben. Wie denken Sie über dieses Projekt und was halten Sie von solch einer zentralen Sammelstelle für kölsche Liedtexte?
Ich finde, dass das eine tolle Sache ist und ich würdige die viele Arbeit, die darin steckt, sehr. Ich selbst benutze die Liedersammlung auch, vor allem verweise ich Leute, die Anfragen an mich stellen wegen bestimmter Lieder, an Ihre Liedersammlung. Es ist für manche sehr hilfreich, z.B. auch, wenn sich dann jetzt noch irgend welche Nachfahren melden und Ihnen noch Texte zur Verfügung stellen. Das ist eigentlich das, was so etwas gefehlt hat. Leider Gottes, muss ich sagen. Wenn mancher Autor wüsste, wie seine Nachfahren mit seinen Werken umgehen, der würde sich im Grab umdrehen, denn die Tatsache, dass Ihnen die Leute das zur Verfügung stellen, ist sehr selten. Nicht wenige, zumeist Enkel und Urenkel, wollen Geld sehen.
Zum Glück haben wir sie bisher umsonst bekommen und ich hatte den Eindruck, dass die Leute froh waren, einen Ort wie die Bibliothek unserer Akademie gefunden zu haben, denen Sie das Werk ihrer Eltern oder Großeltern anvertrauen konnten.
Sie sagten, dass Sie sich mit der kölschen Liedersammlung schon befasst haben. Was halten Sie denn davon, dass jeder Liedtext in dreifacher Ausfertigung eingegeben wurde? Braucht man das?
Sehr gut finde ich natürlich, dass Sie sich bemüht haben die Originaltexte zu bekommen und diese dann auch so, wie die Autoren sie geschrieben haben, einsetzen. Mir gefällt auch die zweite Variante, in der Sie die Texte alle in einer einheitlichen Schreibweise angeben, was bestimmt die Suche sehr erleichtert.
Was mir nicht so gut gefällt, das sind die deutschen Übersetzungen, d. h. dass die kompletten Texte ins Deutsche übersetzt wurden. Ich hätte es besser gefunden, wenn nur bestimmte Dinge, die für den Nicht-Kölner vielleicht nicht so verständlich sind, hier erklärt worden wären. Wenn es z.B. heißt "de Glocke sin en Rom", dann bedeutet das, dass de Kirchenglocken in der Karwoche nicht geläutet werden und drum sagt man, dass sie gerade in Rom sind. Ich meine, Erklärungen dieser Art wären hilfreicher..
Bisher enthält die Liedersammlung ca. 4.500 Titel mit Urheberangaben, sofern sie noch zu ermitteln waren, und die meisten Titel enthalten auch die Liedtexte. Sollte diese Sammlung Ihrer Meinung nach weiter ausgebaut werden?
Ja, sie sollte auf jeden Fall weiter ausgebaut werden, denn keine andere Stadt hat so viele Lieder hervorgebracht wie Köln. An die alten Lieder ist ja nicht immer ranzukommen, weil viele von ihnen nicht schriftlich festgehalten wurden.
Bei neuen Liedern ist das ja nicht schwer, aber gerade bei alten Liedern aus vergangenen Jahrhunderten stellt sich das ja leider oft als schwierig dar. Wie sind Sie denn vorgegangen?
Ich selbst konnte nur sammeln und erfassen, was gedruckt oder veröffentlicht war. Wicky Junggeburth hat viele private Mitschnitte und alles phantastisch archiviert, so z.B. viele der Krätzchen, auf die sich ältere Leute beziehen, die sie von der Oma haben usw. Die wurden früher auf den Sitzungen gesungen, sind aber nie im Druck erschienen. Nur, wenn sie mal einer aufgeschrieben hat, dann hatte man sie. In der Hinsicht hat Wicky Junggeburth natürlich ein großes Material.
Es ist ja nicht einfach, an Texte zu kommen, die nie gedruckt wurden.
Mit den Liedern, die in den letzten Jahren rausgekommen sind, ist es kein Problem, wenn es keinen gedruckten Text gibt. Man hört sich das Lied an und schreibt es ab. Bei den Liedern aus den Vor- und Nachkriegsjahren und aus dem vorvorigen Jh. ist das etwas schwierig. Heute fehlen in der Regel die entsprechenden Geräte, um die alten Tonträger abzuspielen (Schellack, Tefifon), z.B. von den 4 Botze. Ich habe noch ein Tefifon-Gerät und Bänder, die sind aber im Lauf der Jahre marode geworden. Ich habe auch noch weit über 1.000 Schellack-Platten in der Sammlung - viele aus der Vorkriegszeit.
Und Sie hatten keine Probleme mit diesen alten Aufnahmen?
Einige Aufnahmen auf der von mir bei Gerig herausgegebenen Ostermann-Box sind ja teilweise auch von minderwertiger Qualität. Ich habe sie aus dokumentarischen Gründen trotzdem auf einer der CDs zusammengefasst. Auf einer Schiffsreise 1995 vom Mittelmeer zum Schwarzen Meer habe ich an Seetagen mit einem Kassettenrekorder an Deck gesessen, alle Lieder abgehört und die Texte aufgeschrieben, weil mir aufgefallen war, dass die Ostermann-Texte im Lauf der Jahre in Teilen sehr verändert wurden, auch die Melodien übrigens. Jeder hat sich die Melodie so gezaubert, wie es ihm gerade passte. Manche haben sich die Texte so gezimmert, wie sie ihm passten. Ich wollte den Originaltext haben von Ostermann. Wenn er sie so singt, kann er sie ja nicht anders gedruckt haben. Obwohl Ostermann selbst ja bei verschiedenen Plattenfirmen aufgenommen hat, wo er selbst auch schon mal unterschiedlich gesungen hat. Z.B. singt er mal "Einmal am Rhein", und mal singt er "Einmal zum Rhein", was ja sprachlich korrekter wäre.
Konnten Sie denn dabei weitere Fehler entdecken?
Das ist natürlich sehr interessant, was man feststellen kann, wenn man sich näher mit diesen Dingen befasst, und nicht alles bedenkenlos übernimmt, was andere schon mal gemacht haben. Das ist sowieso eine Krankheit in Köln, dass der Eine sich auf den Anderen verlässt. Es gibt leider nur noch sehr wenige, die ernsthaft recherchieren, was ich sehr bedauerlich finde, so dass also die gleichen Fehler immer wieder auftauchen. Ein klassisches Beispiel ist "En der Höhnergass 204", was in allen möglichen Publikationen immer wieder Willi Ostermann zugeschrieben wurde. Nicht alles in Köln ist von Ostermann, dieses Lied ist beispielsweise von Gerhard Ebeler und Hans Otten. Da hat man sich immer wieder auf die Angaben des Vorgängers verlassen und so hat sich der Fehler immer weiter fortgesetzt. Oder auch das Lied "Kölsche Mädcher, kölsche Junge" von Fritz Hannemann und Engelbert Sassen schreiben die meisten auch dem Ostermann zu. Das passiert, wenn man nicht recherchiert.
Und das habe ich mir zur Aufgabe gemacht, ich übernehme also nicht einfach Angaben von anderen Leuten, sondern gehe den Sachen auch mal auf den Grund. Deswegen ist es auch ärgerlich, wenn man selbst sehr viel Zeit auf Recherchen verwendet hat, wenn man dann merkt, dass andere das einfach abschreiben ohne die Quelle anzugeben.
Ist Ihnen das also auch passiert?
Für die Recherchen zu meinem ersten Buch "Kölner Originale" habe ich Jahre verwendet, ich bin über den Melaten-Friedhof gelaufen und habe Grabstellen aufgesucht um an die Geburtsdaten zu kommen - ich hatte als Quelle den Dr. Bayer aus den 20er Jahren, aber der hatte keine oder falsche Geburts- und Sterbedaten. Ich habe die ganzen Daten zusammengesucht, was sehr zeitaufwändig war, im historischen Archiv habe ich wochenlang in der Totenzettelsammlung, auf denen früher der gesamte Lebenslauf der Verstorbenen stand, gewühlt und nach Lebensdaten gesucht. Und dann kommt einer und übernimmt die Daten einfach. Es wäre eine Sache des Anstandes, dann auch die Quelle angeben, sonst sieht es so aus, als habe man selbst all die Daten recherchiert.
Ich hoffe sehr, dass dieses Interview auch dazu beiträgt, dass in Zukunft gründlicher recherchiert wird und dass man zumindest die Quelle angibt, aus der man seine Informationen schöpft. Herr Louis, ich danke Ihnen für das nette Gespräch!